Die Wunderheilerin by Ines Thorn

Die Wunderheilerin by Ines Thorn

Autor:Ines Thorn [Thorn, Ines]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Belletristik/Historische Romane, Erzählungen
Herausgeber: rowohlt
veröffentlicht: 2012-07-30T11:39:12+00:00


Es war schon dunkel, als Priska auf die Straße trat. Die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten wie Schneeflocken durcheinander. Sollte wahr sein, was Regina gesagt hatte? Traf sich Adam tatsächlich wieder mit seinem Liebsten? War er also doch von einem Dämon besessen? Nein, nein, nein! Das konnte nicht sein! Das durfte nicht wahr sein. Regina log. Bestimmt war sie nur neidisch.

Entschlossen ging Priska die dreckige Gasse hinauf, doch je näher sie ihrem Heim in der Klostergasse kam, umso langsamer wurden ihre Schritte. Und wenn Regina nicht gelogen hatte? Ein Wort von ihr auf dem Markt, eine Bemerkung am Brunnen, und Adam wäre wieder in Gefahr. Aber nein, das würde Regina nicht wagen. Oder doch? Und wenn Regina etwas gesehen hatte, dann würden auch die anderen Leipziger etwas bemerken.

Tief in Gedanken versunken, blieb Priska stehen. Die Glocken verkündeten die sechste Abendstunde. Um diese Zeit kam Adam für gewöhnlich nach Hause. Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.

Sie lief die Hainstraße hinauf, eilte durch die Barfüßergasse und verbarg sich in einem Hauseingang so, dass sie die Ecke Barfüßergasse und Klostergasse gut im Blick hatte.

Sie brauchte nicht lange zu warten. Adam ging im Schutz der Häuser, mit schnellen, eiligen Schritten. Seine Arzttasche trug er in der Hand. Außer ihm war weit und breit kein Mensch zu sehen. Es war der Ausdruck seines Gesichtes, der Priska das Fürchten lehrte. Sie sah seine klaren Augen, den leise lächelnden Mund, die glatte, rosige Haut.

Eine unbändige Wut packte sie. Sie stürzte aus ihrem Versteck. Ihre Fäuste trafen ihn überall. Sie schlug, ohne hinzusehen. Adam rührte sich nicht, nahm die Schläge hin wie eine verdiente Strafe.

Die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie keuchte, als wäre sie sehr lange und sehr schnell gerannt. «Du Schuft, du Lügner, du Herzdieb, du Elender, ich hasse, hasse, hasse dich!»

Adam machte keine Anstalten, Priska zu beruhigen. Er stand da, hielt den Blick gesenkt und ließ sich schlagen. Dann, als Priska nur noch schluchzen konnte, nahm er sie in den Arm und führte sie weg wie eine Kranke.

In der Wohnstube erst ließ er sie los. Er nahm ihr den nassen Umhang ab, trocknete ihr mit einem Handtuch das Haar, holte die Kanne mit dem Wein, schaffte Becher herbei, füllte ein und gab Priska das Getränk in die Hand.

«Trink, Liebes», sagte er. «Trink, das beruhigt.»

Er sah ihr zu, wie sie den Becher an die Lippen setzte und bis zum letzten Tropfen trank. Ihre Augen waren geschwollen und brannten. Priska fühlte sich so unendlich müde.

Sie stellte den Becher ab, sah zu Adam. Zärtlichkeit überkam sie, als sie seinen leeren Blick sah, den geschwungenen Mund, das blasse Gesicht und das Haar, welches ihm bis auf die Schultern fiel. Er war ein schöner Mann. Seine Verletzlichkeit war so offensichtlich, dass Priska Angst um ihn bekam. Ihre Wut war verflogen.

Sie stand auf, kniete sich vor seinen Stuhl, legte den Kopf in seinen Schoß. «Du bist mein Mann», sagte sie. «Verstehst du? Mein Mann.»

«Das werde ich immer sein, Priska. Und du bist meine Frau, meine Freundin und Gefährtin. Ich will dir nicht wehtun.



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